Religiöse Ausübung in der Zeit der Pandemie

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Auswertung der zweiten berlinweiten Umfrage des Berliner Forums der Religionen für den Zeitraum 15.-30.06.2020 über die religiöse Praxis in Zeiten der Corona-Krise

Die Berliner Kirchen und Religionsgemeinschaften sehen auf die Zeit des Lockdowns mit gemischten Gefühlen zurück. Online-Angebote wurden während der Versammlungsverbote und Kontaktbeschränkungen von ihren Gemeindemitgliedern zwar gut bis sehr gut angenommen. Teils erreichten die Gemeinden mit ihren virtuellen Veranstaltungen sogar deutlich mehr Menschen als bei Gottesdiensten zuvor. Dennoch vermissten viele Gläubige gemeinsame Erlebnisse wie Andachten, Singen, Meditieren oder die Feier des Abendmahls. Liveübertragungen konnten zwar ein Zusammengehörigkeitsgefühl hervorrufen, eine Kommunikation mit allen Sinnen fehlte jedoch den meisten Gläubigen, ermittelte das Berliner Forum der Religionen durch eine nicht-repräsentative Umfrage unter den Kirchen und Religionsgemeinschaften der Hauptstadt.

Die berlinweite Plattform für religionsübergreifende Zusammenarbeit fragte im Zeitraum 15.-30. Juni 2020 bereits zum zweiten Mal danach, wie sich die Religionspraxis in Berlin mit den durch die Pandemie verursachten Beschränkungen verändert habe. Antworten kamen von 39 Gemeinden von Bahá’í, Buddhisten, Christen, Hindus, Juden, Muslimen, Paganen, Sikhs und mehrerer kleineren Gemeinschaften. Auch Kirchenkreise der evangelischen Landeskirche und Gemeinden des katholischen Erzbistums nahmen an der Umfrage teil. Die erste Umfrage fand vom 19.–26. März 2020 statt.

„Wir wollten in einer zweiten Umfrage ermitteln, vor welchen Herausforderungen die Gemeinschaften aktuell stehen und welche Bewältigungsstrategien sie nutzen“, begründet Dr. Michael Bäumer vom Forum die Umfrage. „Mittlerweile haben alle religiösen Gemeinschaften Erfahrungen mit den Einschränkungen ihrer religiösen Ausübung gesammelt. Kirchen, Moscheen, Synagogen und andere religiöse Zentren öffnen langsam wieder ihre Türen“, so der Geschäftsführer des Berliner Forums der Religionen. Daher habe sich der zweite Teil der Umfrage auf die vier Themenkomplexe rituelle Praxis, individuelle Glaubensausübung, Kommunikation sowie Erkenntnisse und Entwicklungen konzentriert.

Die Erfahrungen mit der veränderten rituellen Ausübung waren unterschiedlich. Stark vermisst wurden religiöse Gemeinschaftserlebnisse. Nach den ersten Lockerungen blieben Familien mit jungen Kindern und Ältere den wieder stattfindenden Gottesdiensten auffällig fern. Dies sei auch ein Grund für viele Gemeinden, an Onlineangeboten trotz Lockerungen festzuhalten. Viele Gemeinschaften erwarten deshalb eine Weiterführung der Online-Angebote auf professionellerer Ebene. „Viele Gemeinschaften reduzierten während des Lockdowns die Anzahl ihrer virtuellen Angebote, erreichten aber mehr Teilnehmer mit kurzen, anschaulichen und prägnanten Beiträgen.“ Ältere Menschen wurden von den Gemeinden vor allem über Telefon, SMS und Briefe erreicht.

Auf der individuellen Ebene habe die Corona-Krise bei vielen Gläubigen zu einer Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen geführt, was wiederum eine persönliche religiöse Praxis und die schon zuvor zu beobachtende Tendenz zur Individualisierung im Glauben befördert habe. Schwierig war die Situation aber für Alleinerziehende und Anfänger im Glauben. Wer Homeschooling für zum Teil mehrere Kinder und Homeoffice unter einen Hut zu bringen hatte, hatte keine Zeit für persönliche Gebete und Meditationen.

Die ebenfalls abgefragten Erkenntnisse und Erfahrungen gingen häufig mit Entschlüssen einher. So hieß es, durch die Epidemie seien die Gedanken und Aktivitäten mehr auf das Wesentliche gerichtet worden. Werte wie Freundschaft, Unterstützung und Nächstenliebe hätten mehr Bedeutung bekommen. „Das Wichtigste ist, aus den Erfahrungen mitzunehmen, dass wir solidarisch, respektvoll und rücksichtsvoll miteinander sein sollten – über die Grenzen unserer Gemeinden hinweg“, antwortete der evangelische Kirchenkreis Berlin-Mitte auf die Fragen des Berliner Forums der Religionen. „Es war in diesen Wochen sehr viel Dankbarkeit zu spüren und zu hören“, hieß es aus der buddhistischen Gemeinde Lotos Vihara. „Dankbarkeit für die Verbundenheit untereinander, Wertschätzung für das, was einem blieb. Viele Menschen berichten davon, dass ihnen vieles, was bis dahin selbstverständlich war, nun als wertvoll bewusst ist.“

„Solidarität, Gemeinschaft und Miteinander scheinen in den vergangenen Wochen trotz fehlender physischer Gemeinschaft gestärkt worden zu sein“, bewertet Dr. Michael Bäumer die Antworten der beteiligten Kirchen und Religionsgemeinschaften. „Religion als Resilienzfaktor stärkt sowohl den einzelnen Gläubigen als auch die Gemeinschaften und ihre Institutionen. Mit Kreativität und Bereitschaft zur Innovation gehen viele religiöse Gemeinschaften in Berlin die aktuelle Situation an.“

Die Ergebnisse der Umfrage sind abrufbar unter auswertung_religioese_ausuebung_teil_2.