Pressemitteilung: Berliner Forum der Religionen sieht durch das Berliner Neutralitätsgesetz die vom Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit gefährdet

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Am Donnerstag, 27.08.2020, 11.30 Uhr, steht am Bundesarbeitsgericht eine Revisionsverhandlung mit Bezug zum sogenannten Berliner Neutralitätsgesetz an (8 AZR 62/19). Geklärt wird die Frage, ob das Land Berlin einer Klägerin muslimischen Glaubens eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG aufgrund einer Benachteiligung wegen der Religion schuldet. Die Klägerin ist Muslima und trägt ein Kopftuch. Sie bewarb sich beim beklagten Land im Rahmen eines Quereinstiegs mit berufsbegleitendem Referendariat für eine Beschäftigung als Lehrerin. Wegen des Tragens ihres Kopftuchs und damit wegen ihrer Religion sei sie nicht eingestellt worden, behauptet die Klägerin. Das Land Berlin beruft sich darauf, die Klägerin sei allein deshalb nicht eingestellt worden, weil es ausreichend Laufbahnbewerber gegeben habe. Eine Nichtberücksichtigung wegen ihres Kopftuchs wäre im Übrigen durch das Neutralitätsgesetz des Landes Berlin gerechtfertigt gewesen, so das Land.

 

Das Berliner Forum der Religion, die berlinweite Plattform für den interreligiösen Dialog in der Hauptstadt, nimmt zu dem Streit wie folgt Stellung:

Berlins bewegte Geschichte hat viele Facetten. Eine Facette ist, dass es der Stadt immer gut gegangen ist, wenn Vielfalt als Bereicherung und Geschichte als Lernfeld betrachtet wurde. Zu Recht ist man in Berlin stolz auf jene Entwicklungen, die Möglichkeiten des Erinnerns an die Geschichte und Lebensräume für mehr Menschen als vorher ermöglicht haben. Nicht nur in Berlin, sondern weltweit erleben wir einen demographischen Wandel hautnah und rasant wie noch nie und die damit einhergehende ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt der Gesellschaft. Berlin und Deutschland sind keine Ausnahmen.

Tatsächlich ist die Entwicklung zu mehr Offenheit und Anerkennung der Vielfalt eine Bewegung und kein Zustand. Sie ist vielmehr eine Haltung. Diese Haltung bedeutet Gleichwertigkeit und Chancengleichheit für alle Menschen, mit all ihren Identitätsmerkmalen, auf der Grundlage unseres Grundgesetzes und der allgemeinen Menschenrechtserklärung. Diese Haltung bejaht die gelebte Toleranz und das friedvolle Miteinander aller Menschen.

In einer Stadt, die abhängig ist von Miteinander und Toleranz, ist es eine Grundsatzfrage, ob man in Berlin zeigen kann, wer man ist. Damit ist ausschließlich das Gute, das Individuelle, das Bereichernde gemeint – das, was jeder Mensch einbringt und von sich in der Zivilgesellschaft zeigen kann.

Wenn es derzeit schwierig oder gar unmöglich ist, in der Öffentlichkeit äußerliche religiöse Erkennungsmerkmale wie ein Kopftuch, eine Kippa, ein Kreuz an der Halskette oder einen traditionellen Sikh-Turban zu tragen, dann zeigt dies, dass die Zivilgesellschaft weniger offen ist, als man sich eingestehen mag. In der Ablehnung gegenüber religiöser Sichtbarkeit im Alltag, im Beruf oder Freizeit wird sowohl eine Abwehr gegen religiöse Praxis als auch eine Schwierigkeit im Umgang mit dem Anderen deutlich.

Dies passt nicht zu Berlin, zu einer Stadt, die man nicht auf einen Nenner bringen kann und die durch den Input vieler Kulturen, Religionen und Ideen gedeiht. Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Kommunikation, gesellschaftlicher Pluralität und Diversität.

Wenn vor der Toleranz das Gespräch gesucht wird, werden sich neue Möglichkeiten eröffnen. Das Unbehagen vor dem Andersdenkenden wird kleiner werden und niemand muss sich davor fürchten zu zeigen, wer sie oder er ist.

Auch Nicht-Religiöse müssen in einer offenen, pluralen Gesellschaft mit religiösen Erkennungsmerkmalen in der Öffentlichkeit leben. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht selbst festgehalten: „Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, von der Wahrnehmung anderer religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse verschont zu bleiben.“

Der freiheitlich-demokratische Verfassungsstaat kann Religionsfreiheit und religionsbezogene Diskriminierungsverbote nur wahren, wenn er in Religions- und Weltanschauungsfragen unparteiisch agiert.

Der Staat stellt den Rahmen durch das Grundgesetz, in dem sich die Religionsgemeinschaften frei entfalten können im öffentlichen Raum (Das GG nennt Seelsorge und Gottesdienst „im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten“).

Unter dieser Voraussetzung bietet der weltanschaulich-neutrale Staat erst die Voraussetzung für Religionsfreiheit. Staatliche Neutralität ist von daher vom Grundgesetz her kooperativ-religionsfreundlich und steht den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften offen und wohlwollend gegenüber. Das Neutralitätsgesetz in Berlin erfüllt diese Neutralität gerade nicht, weil es stark auf die negative Religionsfreiheit fokussiert ist, d.h. in der Zurückdrängung von Religion, religiösen Symbolen und Riten aus dem öffentlichen Raum hinein in die Privatsphäre.

Das Berliner Neutralitätsgesetz wird oft so verstanden und eingesetzt, um die öffentliche Sichtbarkeit von Religion zu verhindern. Den sich dahinter verbergenden Generalverdacht sowie Stigmatisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung gegenüber religiösen Menschen lehnen wir ab.

Michael Bäumer (Geschäftsführer es Berliner Forums der Religionen) im Auftrag des Koordinierungskreises des Berliner Forums der Religionen

August 2020

 

 

Zum Hintergrund:

Am gleichen Tag der Verhandlung, Donnerstag, 27.08.2020, wird das Berliner Forum der Religionen eine digitale Kooperationsveranstaltung mit der Evangelischen Akademie zu Berlin abhalten, zu der wir die Presse ausdrücklich einladen.

Mehr als eine Kopftuchdebatte? Das Berliner Neutralitätsgesetz 

Ab 18:45 Ankommen der Teilnehmenden im digitalen Raum

19:00 Begrüßung

Dr. Sarah Albrecht, Evangelische Akademie zu Berlin
Dr. Michael Bäumer, Berliner Forum der Religionen

19:05 Juristischer Input: Das Kopftuch zwischen Neutralität und Religionsfreiheit

Maryam Kamil Abdulsalam, Universität Bonn

19:30 Podiumsdiskussion: Mehr als eine Kopftuchdebatte? Das Berliner Neutralitätsgesetz

Bettina Jarasch MdA, Die Grünen
Cornelia Seibeld MdA, CDU
Maryam Kamil Abdulsalam, Universität Bonn

Moderation: Dr. Sarah Albrecht, Dr. Michael Bäumer

Infos und Anmeldung unter https://www.eaberlin.de/seminars/data/2020/rel/mehr-als-eine-kopftuchdebatte-1/.

 

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